Umgang mit Deepfakes: Wir müssen moralische Verantwortung übernehmen

Juliane Reuther
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Die letzten Jahre haben uns misstrauisch gemacht, Donald Trump hat den Ausdruck "Fake News" geprägt, der viel zu schnell zum weltweiten Standardvokabular wurde. Deepfakes sind Falschinformationen höchster Güte: Wir können unseren Augen nicht mehr trauen.

Schon heute kann jede:r im Internet für ein paar Euro Deepfakes bestellen oder mit etwas Geduld und den richtigen Apps selbst erstellen. Aktuell lässt die Qualität solcher Deepfakes zwar zum Teil noch zu wünschen übrig, doch wie rasant technischer Fortschritt sein kann, wissen wir. Die Risiken einer solchen Verfügbarkeit von manipulierten Videos für unsere Gesellschaft und uns privat dürfen wir nicht unterschätzen. Deshalb müssen wir unseren moralischen Kompass rauskramen und verantwortungsbewusst handeln – gerade wenn es um nicht einvernehmliche Porno-Inhalte oder manipulierte Informationen von gesellschaftlichem Interesse geht.

2019 waren laut einem Report von „Sensity“ rund 93 Prozent der Deepfakes im Internet pornografische Inhalte, die meisten wurden ohne das Wissen der betroffenen Person erstellt. Deepfake-Pornos unterscheiden sich moralisch kaum von Revenge Porn, denn beide haben das Potenzial, riesigen Schaden im Leben einer anderen Person anzurichten. Sobald man über ein Nacktfoto oder einen Sexfilm von einer anderen Person verfügt, hat man die Möglichkeit, es ins Netz zu stellen und sie bloßzustellen.  

Glücklicherweise sind die meisten von uns vernünftig genug, das nicht zu tun. Diese Vernunft dürfen wir trotz der Verlockung von Deepfake-Software nicht verlieren. Denn jetzt bräuchten wir noch nicht einmal mehr reale Nacktfotos und -videos, um uns an einer anderen Person zu rächen. Und alle sind der Technologie im Zweifel ausgeliefert – auch Minderjährige und Kinder.  

Es ist daher essentiell, dass sich die Gesetzgebung anpasst und explizit die Erstellung von nicht einvernehmlich erstellten synthetische Medien kriminalisiert. Dafür muss vor allem ein Bewusstsein für die Folgen von Deepfake-Pornos und -Nacktfotos bei den Behörden geschaffen werden, da dies die häufigste missbräuchliche Anwendung der Technologie sind. Eine Anzeige aufzugeben, muss für die Opfer leichter möglich werden. Soziale Netzwerke wie Instagram, Facebook oder TikTok müssen rechtlich verpflichtet sein, nicht einvernehmlich erstellte Inhalte sofort zu löschen und Konten zu sperren, die diese veröffentlichen oder verschicken.  

Doch das Problem müssen wir vor allem an der Wurzel bekämpfen. Wir müssen uns als Gesellschaft aufklären und dazu aufrufen, vernünftig zu handeln. Gesetzgebung ist wichtig, moralische Integrität ist wichtiger. Denn schließlich ist die Technologie hinter Deepfakes nicht böse oder verwerflich, sondern das, was Menschen damit anstellen.  

Auf eine Anfrage der FDP zum Thema Deepfakes ließ der Deutsche Bundestag Ende 2019 mitteilen: „Die Entwicklung und Forschung zum Thema Deep Fakes steht noch am Anfang. Auf dieser noch fortzuentwickelnden wissenschaftlichen Basis ist eine strikte Unterscheidung zwischen harmlos und gefährlich zurzeit nicht zielführend.“  

Mittlerweile hat sich technologisch viel getan, rechtlich nicht: Eine Gesetzgebung, die beispielsweise explizit die nicht einvernehmliche Erstellung von Deepfake-Pornos kriminalisiert, gibt es noch immer nicht. Die Europäische Kommission betrachtet Deepfakes als eine Technologie mit „eingeschränktem Risiko“ und schlägt eine Verordnung vor, die es nur erforderlich macht, Deepfakes zu kennzeichnen, nicht mehr.  

Wir müssen moralische Integrität zeigen, gerade weil unsere Regierungen sich (noch) nicht klar dazu positionieren wollen. Wir müssen uns selbst und gegenseitig aufklären und bewusst machen, dass ein Deepfake, der als vermeintlicher Scherz beginnt, das Leben von Betroffenen zerstören kann.  

Deepfakes sind zwar eine futuristische Technologie, doch die Herausforderungen, die sie mit sich bringen sind im Grunde nichts Neues. Ein öffentlich gemachtes Nacktfoto oder Pornovideo, selbst wenn es ein Deepfake ist, kann für Frauen noch immer ein Karriere- oder Beziehungs-Aus bedeuten und Traumata zur Folge haben. Zu beweisen, dass es sich um gefälschtes Material handelt, ist aufwendig und retraumatisierend. Die Verbreitung zu stoppen, oft schier unmöglich. Eine Anzeige läuft meist ins Leere.  

Es bleibt uns also nichts übrig, als uns nicht nur auf die Gesetzgebung zu verlassen, sondern selbst moralisch vorbildlich zu handeln. Wir müssen verhindern, dass solche schädlichen Inhalte erstellt und weiterverbreitet werden. Wir müssen wachsam bleiben, recherchieren und aufklären, wenn uns Deepfakes zugespielt werden und diese nicht gedankenlos weiterverbreiten.

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